5 März 2024

Mit Exoskeletten und Exosuits zu mehr Mobilität

Exoskelett

Mit dem Alter wird die Mobilität zur Herausforderung. Oft kommen Gehstock oder Rollator zum Einsatz. Bieten neue bewegungsunterstützende Technologien eine Alternative? Die Entwicklung von Exoskeletten und Exosuits verspricht faszinierende Innovationen. Autorin: E. Graf, Leiterin GEKONT

Exoskelette für Therapien

Exoskelette kennt die Natur schon lange – zum Beispiel bei Käfern. Können Exoskelette auch im Alltag von Menschen Anwendung finden? An dieser Stelle ist eine kurze Klärung der Begriffe notwendig. Ein Exoskelett ist ein Gerät, das ausserhalb des Körpers angebracht wird (exo), durch stabile Strukturen Halt gibt und Bewegungen ermöglicht (Skelett). Exoskelette werden in der Rehabilitation nach einer Rückenmarksverletzung oder einem Schlaganfall angewendet, um das Gehen zu trainieren. Es gibt Bestrebungen, dass solche Geräte im Alltag als Mobilitätshilfe eingesetzt werden können. Sie sind aber sehr gross und sperrig, weil sie den Beinen und teilweise auch dem Rumpf eine verloren gegangene Funktion wiedergeben müssen. Oftmals werden Exoskelette in der Therapie in Kombination mit Stöcken oder einem Rollator verwendet. Für den Fall, dass ein Problem mit dem Gerät auftaucht, ist immer mindestens eine Therapeutin oder ein Therapeut mit dabei. Auch kann die trainierende Person nicht selbständig aus dem Gerät aussteigen. Es ist also eher nicht davon auszugehen, dass Exoskelette in naher Zukunft im Alltag von älteren Menschen relevant sein werden.

Exosuits für den Alltag

Neben den Exoskeletten gibt es auch sogenannte Exosuits. Exosuits sind im Vergleich zu Exoskeletten sehr leicht. Der Myosuit der Schweizer Firma Myoswiss wiegt zum Beispiel nur 5,5 kg. Sie kommen ohne grosse und sperrige Strukturen aus und haben nur Kabel oder kleinere feste Elemente, welche entweder in einem Textil integriert sind oder direkt am Körper befestigt werden. Mit einem Exosuit wird die Funktionsfähigkeit unterstützt, sodass das Aufstehen oder Gehen einfacher, jedoch nicht ganz übernommen wird – ähnlich wie Radfahren mit einem Elektrovelo. Ein Exosuit kann somit in der Therapie eingesetzt werden, um beispielsweise mehr Wiederholungen einer Übung zu ermöglichen oder das Gehen zu unterstützen. Exosuits haben aber auch grosses Potenzial für den Einsatz im Alltag.

Wie könnte ein Exosuit im Alltag eingesetzt werden?

Exosuits können beim Stehen, Gehen oder Treppensteigen unterstützen. Wenn Herr Meier die Wäsche aus der Wohnung im zweiten Stock in den Keller tragen muss, diese danach aufhängt und später wieder in den zweiten Stock hochträgt, kann der Exosuit sowohl beim Treppensteigen etwas von der Last abnehmen als auch beim Wäscheaufhängen zusätzliche Sicherheit geben. Und so hat Herr Meier am Nachmittag noch Zeit und Energie, um sich mit seinen Jasskollegen zu treffen. Für Frau Weber ist die Strecke zur Migros zu Fuss eine Herausforderung, weil es am Schluss bergauf geht. Sie könnte einen Exosuit nutzen, um die Gehstrecke mit weniger Mühe zu bewältigen. Weil Frau Weber dank des Exosuits keine Gehstöcke braucht, hat sie auch die Hände frei, um ihren Einkaufswagen zu ziehen, und sie freut sich, dass sie ihren Einkauf selbständig erledigen kann.

Einsatz bewusst gestalten

Heute sind solche Szenarien noch nicht real, aber sie werden immer realistischer. Dadurch stellen sich neue Fragen. Geht mit der vermehrten Nutzung von Technologien der Austausch mit anderen Menschen, zum Beispiel mit unterstützenden Familienangehörigen, Therapeutinnen resp. Therapeuten oder Spitex-Mitarbeitenden zurück? Führen die Technologien zu einer Vereinsamung von älteren Menschen? Da Technologien ein Stück Selbständigkeit zurückgeben können, verringern sie die Abhängigkeit von anderen Menschen. Mit weniger Abhängigkeit braucht es weniger Interaktion, was in der Konsequenz dazu führen kann, dass sich jemand einsamer fühlt. Es gilt also, den Einsatz der Technologie und die dadurch gewonnene Unabhängigkeit bewusst zu gestalten. Wenn Herr Meier die Wäsche selbständig erledigen kann und danach noch Energie hat, sich mit seinen Bekannten zu treffen, hat er nicht nur Selbständigkeit gewonnen, sondern kann auch den sozialen Austausch pflegen. Frau Weber ist nicht mehr auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen, um den Einkauf zu erledigen. Wenn sie dafür mehr gemeinsame Freizeit haben, ist das nicht nur für Frau Weber, sondern für die ganze Familie ein Gewinn. Der vielschichtig positive Einsatz ist in der Verantwortung jeder einzelnen Person, welche die Technologien direkt nutzt, aber auch der Personen, die indirekt vom Einsatz profitieren können.

Interdisziplinäre Forschung

Die Forschung befasst sich immer mehr mit der Integration von Technologien im Alltag, auch bei uns an der ZHAW in Winterthur. Dabei rücken die Personen und deren Umwelt in den Fokus. Diese Arbeit erfordert interdisziplinäres Expertenwissen aus der Psychologie, Gesundheitswissenschaften, Philosophie, Ökonomie, Politik, Geschichte und den Gesundheitsberufen. Zudem ist der Einbezug von Nutzenden als Expertinnen und für ihre Lebenssituation unumgänglich. Die Forschungsgemeinschaft ist darauf angewiesen, dass sich die älteren Menschen beteiligen, ihr Interesse und ihre Offenheit gegenüber neuen Möglichkeiten zeigen und ihr Wissen teilen. Bis wir also Frau Weber in ihrem Exosuit beim Einkaufen begegnen, müssen die Geräte noch so überarbeitet werden, dass sie selbständig genutzt werden können, und ihr Einsatz im Alltag muss gezielt gestaltet werden. Es braucht noch Investitionen von Zeit und Arbeit durch verschiedenste Berufsgruppen und auch älteren Personen, bis wir dem, was die Natur bei den Käfern so hervorragend gestaltet hat, auch nur nahekommen.

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