Prof. Dr. em. Pasqualina Perrig-Chiello (71) ist Entwicklungspsychologin und Schriftstellerin. Als Professorin an der Uni Bern beschäftigte sie sich mit dem mittleren Lebensalter, mit Fragen der Persönlichkeitsentwicklung über die Lebensspanne hinweg, kritischen Lebensereignissen und der Regulation des Wohlbefindens. Seit 2016 ist sie im Ruhestand und Autorin. Ihr neues Buch «Own your Age.» Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte erscheint Mitte Februar im Belz Verlag.
Was ist das Geheimnis Ihrer Vitalität?
Antwort: Meine Wissbegier, meine vielen Aufgaben, mein Krafttraining, meine Familie, meine Freunde – das alles und sie alle sind eine unerschöpfliche Quelle von Kraft und Inspiration. Aber ich habe auch gute Gene mitbekommen, ich war nämlich schon immer unternehmungslustig und voll dabei bei allem, was ich tat.
Was schätzen Sie an der Lebensphase, in der Sie sich im Moment befinden?
Die neue Freiheit, Prioritäten zu setzen, wie ich will. Zum Beispiel endlich Zeit zu haben, um die vielen schönen Bücher lesen zu können, die ich haufenweise während meiner Berufszeit gekauft habe, um sie nach der Emeritierung zu lesen – Romane, Krimis, Klassiker, … Früher lag praktisch nur Fachliteratur drin.
Was ist heute in Ihrem Leben mit 71 Jahren einfacher als früher?
Viel Druck ist weggefallen, kein Termindruck, kein Publikationsdruck, kein Druck noch mehr Forschungsgelder zu akquirieren. Was das Leben auch einfacher macht, ist, dass ich die Ansprüche immer besser meinen Möglichkeiten anpassen kann und darf.
Wie blicken Sie auf das Vergangene zurück??
Mit grosser Dankbarkeit. Als Migranten- und Arbeiterkind hatte ich nicht so einfache Ausgangsbedingungen, dafür hatte ich später viele wunderbare Möglichkeiten – beruflich wie privat.
Was erwarten Sie von der Zukunft und der nachberuflichen Zeit?
Ich lebe bewusst die Gegenwart – bin achtsamer geworden für Vieles. Meine nachberufliche Zeit dauert nunmehr seit sieben Jahren – während dieser Zeit war ich stets «beruflich» aktiv. Direkt nach der Emeritierung übernahm ich die Leitung der Seniorenuniversität Bern, seit einem Jahr amte ich noch als Vizepräsidentin des Stiftungsrates. Ich halte Vorträge, bin in verschiedenen Organisationen beratend tätig, schreibe Bücher – so auch mein neuestes Buch «Own your Age! Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte» (mehr siehe Box unten)
Was heisst für Sie „gut älterwerden“?
Ich setze um, was ich in den vielen Jahren meiner Forschungstätigkeit gelernt habe, nämlich dass ein gutes Altern letztlich eine Frage der Einstellung, des Charakters, des Lebensstils ist. Natürlich spielen gesellschaftliche, soziale und familiale Bedingungen eine Rolle, letztendlich aber sind wir für unser Alter verantwortlich. Hilfreich für ein gutes Altern sind Charakterstärken wie Dankbarkeit, Hoffnung, Selbstverantwortlichkeit, Vergebungsbereitschaft, Neugier, soziale Intelligenz und ganz viel Humor.
Alter und Weisheit: Trugschluss oder Realität?
Alter ist nachweislich keine Garantie für Weisheit. Allerdings hat ein Grossteil der älteren Menschen die Lektionen des Lebens gelernt, sind nachsichtiger, gelassener, krisenerprobter und empathischer geworden – das alles sind gute Voraussetzungen um als weise zu gelten.
Was bedeutet für Sie «gemeinsam alt» werden?
Menschen brauchen enge, verlässliche Beziehungen – ein Leben lang! Im Alter werden soziale Verluste immer häufiger – Freunde und geliebte Menschen sterben weg – und vor allem im hohen Alter werden viele einsam. Daher ist es enorm wichtig, Freundschaften zu pflegen, sich gesellschaftlich einzubringen (im Quartier, in Vereinen, etc.). In Partnerschaften ist es wichtig, eine ausgewogene Balance zwischen gemeinsamen Unternehmungen und eigener Entwicklung zu finden. Für alle Beziehungen gilt: sie sollten nicht als selbstverständlich angenommen werden. Selbstverständlichkeiten führen allzu gerne zu Frustration und Unachtsamkeit.
Haben Sie Wünsche, die Sie sich in der kommenden Lebensphase erfüllen wollen?
Mehr Zeit für mich, mehr Zeit für meine Lieben, spannende Begegnungen, erfüllende Aufgaben und möglichst lange autonom und gesund zu bleiben. Ich weiss, dass das viel ist, aber ich weiss auch mich den jeweiligen Bedingungen anzupassen.
Wo sind in unserem Gesellschaftlichen System Anpassungen notwendig, damit Ihre Generation gut im Alter zurechtkommt?
Ein grosses Problem in unserer Gesellschaft sind die negativen Altersstereotypien – sie bilden nicht nur äussere sondern auch mentale Barrieren. Sie führen auch dazu, dass viel Humanpotenzial in unserer Gesellschaft verloren geht und die Kluft zwischen den Generationen immer grösser wird. Ich wünschte mir mehr Miteinander, statt Nebeneinander.
Wie gelingt es, die verschiedenen Generationen miteinander in Dialog zu bringen und gegenseitiges Verständnis zu fördern?
Es braucht besseres Wissen voneinander durch vermehrte Begegnungsmöglichkeit. Daher ist die Förderung von Generationenprojekten wie etwa innovative Wohnformen, altersfreundliche Gemeinden, Nachbarschaften sehr wichtig. Wertediskussionen sollten als Bereicherung statt als Bedrohung gesehen werden. Und: Wir sollten zudem soziale Probleme nicht vorschnell als Generationenprobleme bezeichnen. Solche „Demografisierungen“ lenken vom Problem ab, schafft unnötige Spannungsfelder und verhindert Lösungen. Wir sollten uns angewöhnen, in erster Linie den Mensch zu sehen und nicht sein Alter, sein Geschlecht und seine Generationenzugehörigkeit.
Buchtipps
Own your Age
(Neuerscheinung ab 7. Februar 2024)
Stark und selbstbestimmt in der zweiten Lebenshälfte.
Wir alle wünschen uns, dass die Zeit des Älterwerdens selbstbestimmt, spannend und beglückend wird – Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello erforscht als Lebensspannenpsychologin seit Jahrzehnten, wovon dies abhängt. Sie zeigt, welche Möglichkeiten und Stärken in Herausforderungen und Veränderungen wie Sinnkrise, Auszug der Kinder oder persönlicher und partnerschaftlicher Neuorientierung liegen. Hier bestellen:
Wenn die Liebe nicht mehr jung ist
Warum zerbricht eine langjährige Partnerschaft? Gibt es ein Rezept für eine glückliche Beziehung, die ein Leben lang anhält? Pasqualina Perrig-Chiello beschäftigt sich in ihrem Buch „Wenn die Liebe nicht mehr jung ist“ mit den Themen Liebe, Partnerschaft und Scheidung im mittleren Lebensalter. Hier bestellen:
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