Endlich geheilt vom Krebs und wieder zurück ins alte Leben. Das ist die Wunschvorstellung der meisten Krebsbetroffenen und ihrer Angehörigen. Doch die Realität sieht leider oft anders aus.
Die Akuttherapien sind überstanden und man möchte eigentlich nur noch zurück zur Normalität. Aber was ist schon normal, wenn man dem Tod ins Auge geschaut hat und noch immer unter den Langzeitfolgen der Behandlung leidet? Nicht nur die körperlichen Folgen können belastend sein, auch die psychischen. Betroffene sehen sich mit vielen neuen Herausforderungen konfrontiert.
«Viele Krebsüberlebende stellen fest, dass nach überstandener Akuttherapie die Rückkehr in ein normales Leben nicht so einfach ist, wie sie dachten. Eine Krebsdiagnose ist ein grosser Einschnitt, der von den Patient*innen als Lebensbedrohung wahrgenommen wird. Es prägt das Leben, es prägt möglicherweise aber auch den Körper und die Psyche», erklärt Dr. Diana Zwahlen, Leitende Psychologin in der Abteilung Psychosomatik am Unispital Basel.
Den Körper verstehen und annehmen
Es gibt verschiedene Ebenen von körperlichen Folgeerscheinungen. Einige Krebsüberlebende müssen lernen, mit äusserlichen Veränderungen umzugehen wie etwa Narben oder dem Verlust eines Körperteils. Andere kämpfen mit Müdigkeit und vermindertem Leistungsvermögen. Auch Masha (50), die den Brustkrebs überlebt hat, kennt solche Folgeerscheinungen: «Eine der Chemotherapien hatte bei mir Polyneuropathie ausgelöst, eine Erkrankung des peripheren Nervensystems. Ich muss zudem in regelmässige Behandlung aufgrund eines Lymphödems, das durch die Entfernung von Lymphknoten entstanden ist.»
Ein Teil der «Cancer Survivors» leidet an Fatigue, einer erhöhten Erschöpfbarkeit: «Fatigue kann zu Frustration und Depression führen, da es sich dabei um einen langanhaltenden Zustand der Erschöpfbarkeit handelt. Durch fachliche Unterstützung können Betroffene lernen, ihre Energie besser einzuteilen. Dadurch gewinnen sie auch wieder mehr Zeit für Aktivitäten und mehr Möglichkeiten für den Alltag», so Dr. Zwahlen. Masha hat gelernt, mit ihrem veränderten Körper klarzukommen: «Es ist wichtig, dass man seinem Körper während und nach einer Krebsbehandlung Sorge trägt. Man sollte nicht wütend auf ihn sein, sondern dankbar dafür, was er geschafft hat. Meine Narben sehe ich heute als Zeichen einer intensiven Zeit; ich hadere nicht mit ihnen.»
Der Angst begegnen
Wenn es um die Psyche geht, sind Betroffene oft mit Ängsten und Unsicherheit konfrontiert. Auslöser für das unsichere Gefühl sind einerseits das Erlebte, andererseits die Ungewissheit, ob die Krankheit wirklich überstanden ist. Letzteres nennt man in der Psychoonkologie «Progredienzangst», sprich, die Angst vor dem Wiederauftreten oder dem Fortschritt der Erkrankung.
«Wenn die Angst den Alltag überschattet, sollte man fachliche Hilfe in Anspruch nehmen. Gemeinsam kann man Strategien erarbeiten, um die Angstgefühle zurückzudrängen und richtig mit ihnen umzugehen. Wichtig ist es, der Angst die Stirn zu bieten und sich mit ihr auseinanderzusetzen, anstatt sie zu bagatellisieren oder auszublenden», rät Dr. Zwahlen. Masha hat die Angst vor einem Rückfall nie ganz losgelassen: «Ich musste viele Federn lassen. Dabei spreche ich nicht nur von den sichtbaren Narben, sondern auch von inneren Narben. Die Angst vor einer Neuerkrankung bricht bei mir wellenartig über mich ein. Mir hilft es, sie direkt zu konfrontieren und unter die Lupe zu nehmen. Momente, die mir Lichtblicke geben und die Angst in den Hintergrund drängen, finde ich im Sport, in meiner Arbeit, beim Meditieren und in der Natur. Auch das Schreiben und die Gespräche mit meinem Partner helfen mir sehr.»
Das Umfeld miteinbinden
Zum einen sind es körperliche und psychische Folgeerscheinungen, die auftreten können. Dazu kommt eine soziale Dimension. Die grossen Erwartungen der Krebsüberlebenden an das Leben danach werden auch stark vom Umfeld beeinflusst. Hier stehen die Angehörigen, das soziale Umfeld und auch die Rückkehr an den Arbeitsplatz im Mittelpunkt.
«Wenn der letzte Zyklus der Chemotherapie abgeschlossen ist, denken Angehörige oft, dass jetzt alles wieder wie zuvor wird. Manchmal sind es auch Aussagen von Fachpersonen, die bei den Patient*innen am Ende der Therapie falsche Vorstellungen wecken können. Hier ist es hilfreich, sich mit den Angehörigen und Fachpersonen auszutauschen und über Erwartungen und realistische Möglichkeiten zu sprechen», betont Zwahlen.
Das Leben bejahen
Körper, Psyche, soziales Umfeld – alle drei Dimensionen sind eng miteinander verbunden. Dabei kann es auch zu Wechselwirkungen kommen. Die drei Dimensionen haben aber noch etwas weiteres gemein: Es braucht eine Auseinandersetzung mit dem, was nicht mehr geht. Trauer für das, was nicht mehr ist, darf ruhig stattfinden. Danach ist es viel einfacher, sich dem zuzuwenden, was möglich ist und bewusst dem Leben zugewandt weiterzugehen. Masha hat durch das Schreiben einen Weg gefunden, das Erlebte zu verarbeiten: «Es ist wie das Zusammensetzen eines Puzzles, das zerstört wurde. Nach der Erkrankung ist nichts mehr wie vorher. Das Leben muss neu sortiert werden, damit es weitergeht.»
Detaillierte Informationen zum Thema gibt es auch im Podcast von «Leben-mit-Krebs»
Die Veröffentlichung dieses Artikels und des Podcast erfolgt mit freundlicher Genehmigung von «Leben mit Krebs», Journalistin: Catherina Bernaschina.
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