Ein Monat in einem Pflegeheim in der Schweiz kostet im Durchschnitt 10 216 Franken. Wie viel die Betroffenen davon selber zahlen, wann Kinder ihre Eltern dabei unterstützen müssen und ob es sich lohnt, für die Pflege zu sparen. Quartierplus veröffentlicht diesen informativen und umfassend recherchierten NZZ-Artikel mit Genehmigung der NZZ im Zweitabdruck. Autor Michael Ferber.
Die Schweiz wird immer älter. Dies zeigen Berechnungen des Bundesamts für Statistik sehr deutlich. In ihrem Referenzszenario geht die Behörde davon aus, dass im Jahr 2050 der Anteil der Personen im Alter von 80 Jahren und mehr an der Wohnbevölkerung 10,7 Prozent betragen wird. Im Jahr 2020 war er nur knapp halb so hoch. Gemäss dem Szenario wird die Gesamtbevölkerung der Schweiz in diesem Zeitraum von 8,7 Millionen auf 10,4 Millionen Personen wachsen.
Viel spricht dafür, dass die über 80-Jährigen im Jahr 2050 im Durchschnitt in einem gesundheitlich besseren Zustand sein werden als Personen in diesem Alter heute. Trotzdem erhöht sich mit steigendem Alter auch die Gefahr, pflegebedürftig zu werden. Die Zahl der Pflegebedürftigen dürfte also weiterhin deutlich zunehmen.
Laut Jérôme Cosandey, Forschungsleiter Sozialpolitik beim Schweizer Think-Tank Avenir Suisse, spielt hierbei auch der medizinische Fortschritt eine wichtige Rolle. Früher seien die Menschen frühzeitiger an ihren Gebrechen gestorben. «Heute ist es aber gut möglich, dass jemand mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, Diabetes und Demenz weiterlebt und dies eben in einem Pflegeheim tut.» Im Durchschnitt verweilt eine pflegebedürftige Person in der Schweiz knapp zwei Jahre und fünf Monate in einer Pflegeinstitution.
Laut Curaviva, dem Branchenverband der Dienstleister für Menschen im Alter, gibt es in der Schweiz zurzeit rund 1500 Pflegeinstitutionen mit mehr als 96 000 Plätzen. Im Jahr 2021 wurden dort rund 124 000 Personen gepflegt. Dabei entstehen hohe Kosten. Laut Curaviva liegen diese für eine Person in einem Pflegeheim in der Schweiz bei monatlich insgesamt 10 216 Franken. Die Krankenversicherer und der Staat übernehmen einen Teil dieser Kosten. Einen erheblichen Teil davon müssen Pflegebedürftige aber auch selbst berappen. Es folgen die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Pflege.
Wie setzen sich die Kosten pro Monat für die Pflege in einem Heim zusammen?
Die genannten monatlichen Kosten für eine Person in einem Schweizer Pflegeheim von 10 216 Franken teilen sich laut Curaviva folgendermassen auf: Die Pension beträgt 4124 Franken, die KVG-Pflege 4401 Franken, die Betreuung 1529 Franken, und die übrigen Kosten liegen bei 162 Franken.
Laut dem Verband wird dabei im Grundsatz zwischen den Kosten der Pension, jenen der Betreuung und den Pflegekosten unterschieden. Die Pensions- und die Betreuungskosten müssen die pflegebedürftigen Personen zahlen. Die Pflegekosten hingegen werden von der Krankenversicherung, den pflegebedürftigen Personen sowie der öffentlichen Hand – also der Gemeinde und/oder dem Kanton – finanziert.
Wer zahlt wie viel an die Pflege?
Die Krankenversicherung zahlt 9.60 Franken pro Pflegestufe, also maximal 115.20 Franken pro Tag in der höchsten Pflegestufe 12. Die pflegebedürftigen Personen selbst müssen sich mit maximal 23 Franken pro Tag beteiligen. «Diese Kosten können jedoch auch höher ausfallen, wenn man sich zum Beispiel für ein teures Pflegeheim oder ein Heim in einem anderen Kanton entscheidet», sagt Tamara Bozinovic-Brons, Rechtsanwältin bei der Rechtsschutzversicherung Axa-Arag. Die Gemeinden und die Kantone sind dazu verpflichtet, die Restkosten zu übernehmen. Die Pflegekosten steigen mit dem Grad der Pflegebedürftigkeit an.
Der Finanzdienstleister VZ Vermögenszentrum hat im Jahr 2020 errechnet, dass Pflegebedürftige im Durchschnitt in der Schweiz Kosten von 175 Franken pro Tag im Heim selbst tragen müssen. Auf das Jahr gesehen addieren sich diese Kosten auf 64 000 Franken.
Wann gibt es Ergänzungsleistungen (EL)?
Laut Curaviva können rund 40 Prozent der pflegebedürftigen Personen die Kosten für die Pension im Alters- oder Pflegeheim aus eigener Kraft bezahlen – aus den Renten aus AHV und beruflicher Vorsorge, aus übrigen Einkommen oder aus dem Vermögensverzehr. Rund 60 Prozent der Pflegebedürftigen sind aber bei der Finanzierung der Pensionskosten auf die Hilfe der Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen. Bei den Betreuungskosten ist es ähnlich.
Ein Gesuch um Ergänzungsleistungen kann man einreichen, wenn die eigenen Einkünfte und das eigene Vermögen nicht ausreichen, um die Pensions- und Betreuungskosten im Pflegeheim sowie den Anteil an den Pflegekosten zu bezahlen. Laut Felix Schneuwly, Gesundheitsexperte beim Online-Vergleichsdienst Comparis, gibt es zwischen den Kantonen Unterschiede, wie stark die Pflegebedürftigen unterstützt werden und wie viel sie selber zahlen müssen.
«Ergänzungsleistungen kommen jedoch erst zum Zug, wenn die Vermögensverhältnisse es bedingen. Ein Vermögensverzehr kann in dieser Situation nicht verhindert werden», sagt Daniel Domeisen, Leiter Gesundheitsökonomie von Curaviva.
Trete eine Person in ein Pflegeheim ein, das nicht in der bisherigen Wohngemeinde oder im bisherigen Wohnkanton liege, könnten wegen fehlender interkantonaler Vereinbarungen Finanzierungslücken auftreten, heisst es weiter in dem Paper des Verbands. Es sei zurzeit offen, wer diese Lücken zu schliessen habe.
Wie kann man sein Vermögen vor Ausgaben für das Altersheim schützen?
Die hohen Kosten für die Pflege lassen erfinderisch werden, wie man sein Vermögen schützen und allenfalls an die nächste Generation weitergeben kann, falls man pflegebedürftig wird.
Schenkungen an die Nachkommen könnten hier eine Option sein. «Dies gestaltet sich aber schwierig, da auch eine Schenkung oder ein Erbvorbezug bei den Ergänzungsleistungen mitberücksichtigt und entsprechend als Kapital angerechnet wird», sagt Bozinovic-Brons. Es gibt aber einen Freibetrag von 10 000 Franken pro Jahr.
Laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) müssen zudem die Erben die in den letzten zehn Jahren vor dem Tod bezogenen Ergänzungsleistungen des Verstorbenen aus dem Nachlass zurückerstatten. Darunter fallen die jährlich bezogenen Ergänzungsleistungen sowie die Behinderungs- und Krankheitskosten. Die Rückerstattung beschränkt sich indessen auf den Nachlass, der 40 000 Franken übersteigt. Entscheidend ist das Vermögen zur Zeit des Todes, wie das BSV weiter ausführt. Die Rückerstattungspflicht betrifft nur Ergänzungsleistungen, die nach dem 1. Januar 2021 gezahlt wurden.
Mit einer langfristigen Planung lasse sich trotzdem wohl ein Teil des Vermögens schützen und dafür habe er auch Verständnis, sagt Cosandey. Es könne allerdings aus liberaler Sicht auch nicht sein, dass die kompletten Kosten für die individuelle Pflege auf die Allgemeinheit überwälzt würden.
Eltern im Pflegeheim: Müssen die Kinder zahlen?
Wenn das Sozialamt für die Pflege aufkommen muss, greifen zudem weitere Regelungen. «Bevor Sozialhilfe zugesprochen wird, wird die Verwandtenunterstützungspflicht geprüft», sagt Bozinovic-Brons. Zahlungspflichtig werde man als Verwandter vor allem bei einem entsprechenden Einkommen. Bei vorhandenem Vermögen werde ein entsprechender Freibetrag berücksichtigt. «Für die zu betreuende Person lohnt es sich deshalb, Vermögen anzusparen, es kann aber auch dazu führen, dass dann keine Ersatzleistungen gesprochen werden», sagt Bozinovic-Brons.
Laut Artikel 328 des Zivilgesetzbuchs (ZGB) sind nur Verwandte unterstützungspflichtig, die «in günstigen Verhältnissen» leben. In erster Linie geht es bei der Regelung um Eltern und ihre Kinder. Der Massstab hierfür ist das steuerbare Einkommen, wie der Kanton Zürich ausführt. Laut den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) von 2021 soll die Pflicht zur Unterstützung von Verwandten nur dann erfolgen, wenn das Einkommen von Alleinstehenden bei mehr als 120 000 Franken und bei Verheirateten bei mehr als 180 000 Franken liegt. Sind Kinder vorhanden, kommt pro Kind ein Zuschlag von 20 000 Franken hinzu.
Vom steuerbaren Vermögen sei aber ein Freibetrag – 250 000 Franken bei Alleinstehenden, 500 000 Franken bei Verheirateten und pro Kind 40 000 Franken – abzuziehen, heisst es in den Richtlinien weiter.
Lohnt es sich, für den Pflegefall zu sparen?
Domeisen von Curaviva weist darauf hin, dass das Finanzierungssystem in der Schweiz so ausgelegt ist, dass jede Person im Bedarfsfall in ein Pflegeheim eintreten kann. Momentan lohnt es sich laut Cosandey aus individueller Sicht kaum, für eine mögliche Pflegebedürftigkeit vorzusorgen. «Egal, ob sie vorgesorgt haben oder nicht: Personen aus der Mittelschicht dürften am Ende allesamt in Pflegeheime mit ähnlichem Standard kommen», sagt er. «Nur zahlt derjenige, der vorgesorgt hat, einen grösseren Teil der Kosten selbst und derjenige, der dies nicht getan hat, eben nicht.»
Dieser Fehlanreiz – Sparen lohnt sich nicht – widerspiegle sich auch im mangelnden kommerziellen Erfolg von freiwilligen Pflegeversicherungen in der Schweiz. Verschiedene Versicherer haben solche Produkte lanciert. «Doch sie ziehen bei den Kunden nicht», sagt Cosandey.
Der Status quo in der Pflege führe zudem zu einer Querfinanzierung von Alt durch Jung. Denn die höchsten medizinischen Kosten entstünden in den Jahren vor dem Tod. Eine Revision des Generationenvertrags sei folglich nötig, sagt Cosandey. Ähnlich hohe Investitionen der Aktivengenerationen via Prämien und Steuern wie in der Vergangenheit reichten nicht, um der ganzen Bevölkerung ein hohes Alter in Würde zu garantieren.
Allenfalls für besonders Wohlhabende könnte die Vorsorge für einen etwaigen Pflegefall interessant sein, da sie sich aufgrund ihrer grossen Mittel ein Pflegeheim mit einem höheren Standard leisten könnten, sagt Schneuwly.
Cosandey äussert sich in diesem Zusammenhang kritisch zu gewissen Entwicklungen in der Altersvorsorge. Aus seiner Sicht umfasst der Begriff nicht nur die Vorsorge für das «gesunde Alter» nach der Pensionierung, sondern auch diejenige für den letzten Lebensabschnitt mit zunehmendem Betreuungs- und Pflegebedarf.
In der öffentlichen Diskussion und in der Werbung von Finanzinstituten gehe es immer nur um das «gesunde Alter» – für die Finanzierung des «gebrechlichen Alters» solle dann der Staat aufkommen. So überfordere man auf Dauer den Staat. «Für viele Gemeinden ist die Pflege neben den Schulen schon jetzt der grösste Ausgabenposten.»
Wie kann man sich auf das Alter vorbereiten?
Cosandey empfiehlt älteren Menschen, sich beizeiten darauf vorzubereiten, wie sie im Alter leben wollen. Dazu gehöre unter anderem, dass man sich über die Wohnsituation Gedanken mache. «Das Ziel sollte sein, möglichst lange selbständig wohnen zu können», sagt er.
In diesem Zusammenhang setzt sich der Avenir-Suisse-Vertreter für das betreute Wohnen als Hilfe zur Selbsthilfe ein. Dies könnte verfrühte Heimeintritte verhindern und so, je nach Dauer des Aufenthalts in der betreuten Wohnung, auch Kosten sparen.
In diesem Zusammenhang sei auch kritisch zu sehen, dass die Ergänzungsleistungen nur zwei Wohnsituationen für ältere Menschen kennen: zu Hause und das Pflegeheim. Immerhin hätten aber beispielsweise die Kantone Graubünden und Jura mittlerweile Ergänzungsleistungs-Zuschläge für betreutes Wohnen eingeführt.
Erstpublikation erschienen in der NZZ vom 13.11.2023. Autor Michael Ferber. Zweitverwendung mit freundlicher Genehmigung der NZZ und des Autors. Bild: freepic