2 September 2024

Digitale Medien: von der Lust zur Sucht

Quartierplus Generationen

Medienpädagoge Beat Richert kennt sowohl die Sonnen- als auch die Schattenseiten der digitalen Medien. Welche Chancen und Risiken das Online-Universum birgt, zeigt er im Interview mit Quartierplus auf. Über Pro und Contra der digitalen Medien, den unterschiedlichen Zugang der Generationen, und wie ein gutes Miteinander gelingen kann.

Ab wie vielen Stunden Bildschirmzeit pro Tag bewegen wir uns in einem problematischen Bereich?

Diese Frage wird mir bei all meinen Anlässen gestellt, und meine Antwort ist immer die gleiche: Es gibt keine schwarz-weiss Antwort, es kommt drauf an! Wichtig ist ein vernünftiges und gesundes Gleichgewicht zwischen realem Leben und online-Bildschirmwelten. Solange das soziale Leben harmonisch verläuft, die Berufs- oder Schulleistungen stimmen und auch die Gesundheit im Lot ist, ist die tägliche Bildschirmzeit nicht allzu wichtig. Wenn wir jedoch regelmässig das Handy zücken und nach dem Aktivieren bereits wieder vergessen haben, was wir eigentlich wollten, ist dies ein Zeichen, dass das Gerät uns besser im Griff hat als umgekehrt.

Sind junge Menschen mehr gefährdet als ältere Personen, in eine Sucht zu geraten?

Unter 16-Jährige sind quasi mit dem Smartphone auf die Welt gekommen und erachten es deshalb als normal, jederzeit und überall online zu sein. Der kritische Aussenblick und die Vergleichsmöglichkeiten mit analogen Alternativen sind viel schwächer oder fehlen gänzlich. Deshalb sind junge Menschen erheblich gefährdeter als ältere Personen. Dazu kommt, dass das Stirnhirn, die Kontrollstelle für rationale Entscheidungen und kritische Überlegungen, erst im Alter von etwa 20 Jahren voll ausgereift ist. Jugendliche sind deshalb quasi von Natur aus weniger in der Lage, abzuwägen und vernünftige Entscheide zu treffen. Dementsprechend schätzen heute über drei Viertel von Jugendlichen ihre Bildschirmzeit als zu hoch ein, schaffen es jedoch nicht, diese zu vermindern.

Was können ältere Menschen punkto online-Nutzung von jüngeren Personen lernen?

Vereinfacht gesagt, sind die Jungen schneller unterwegs, die älteren Menschen jedoch vielfach schlauer. Es gilt also, die cleveren Anwenderkenntnisse der Jungen mit dem kritischen Denken und Hinterfragen der älteren Personen zu kombinieren. Was für Junge intuitiv und einfach ist, z.B. eine neue App zu installieren oder ganz einfach mit den Daumen anstatt mit einem Zeigefinger zu tippen, ist für ältere Personen vielfach schwieriger. Es geht hier oft um Dinge wie ein Foto mit dem Handy machen, ohne dabei mit dem Finger die Kamera zu kaschieren. Gegenseitig die Anwenderkenntnisse auszutauschen, kann deshalb äussert hilfreich sein.

Was sollten ältere Menschen den jungen Menschen nicht nachmachen?

Wir erleben zurzeit eine zunehmende Entfremdung der jüngeren Generation, die „offline“ als Ausnahmezustand erleben und einen „umgekehrten Realitätsabgleich“ haben. Sie sehen, dass die Wetter-App Regen vorhersagt und schauen dann kurz aus dem Fenster, um die analoge Welt mit ihrer digitalen Welt abzugleichen. Dieser Trend zu einer gelebten Digitalität scheint mir gefährlich und wenig sinnvoll, von älteren Generationen nachgeahmt zu werden. Letztes Jahr waren erstmals mehr junge Menschen in ärztlicher Behandlung wegen psychischen Problemen als wegen physischen Leiden. Die stetig zunehmende Verlagerung des realen Lebens in eine virtuelle Welt fördert diese Entfremdung und hat einen zunehmend negativen Einfluss auf die mentale Gesundheit der Jugendlichen. 

Was können ältere Menschen Jüngeren in der Mediennutzung empfehlen?

Ältere Menschen können Junge unterstützen, bewusste „offline-Momente“ zu planen und ihnen dabei helfen, Alternativen zum ständigen Griff ans Handy zu bieten. Gespräche, Gesellschaftsspiele, ein gemeinsamer Ausflug ins Museum oder vielleicht sogar ein Besuch einer Bibliothek sind Dinge, die für beide Generationen wertvoll sind.

Weitere Informationen

Beat Richert ist Fachmann für Medienerziehung. Er berät Eltern, Behörden, Firmen beim bewussten, gesunden Umgang mit digitalen Medien und ist Medienpädagoge an der Steinerschule in Zürich.

www.beatrichert.net

 

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